Zwei Jahre lang stand Vincent Müller beim MSV Duisburg im Tor. In der vergangenen Saison war der 24-Jährige Teil des dunkelsten Kapitels der Vereinsgeschichte - er stieg mit den Zebras in die Regionalliga ab. Schuld daran trifft Müller kaum: Er baute gegenüber seinem ersten Jahr zwar ab, gehörte häufig aber zu den besten Duisburgern.
Insofern war zu erwarten, dass er in eine höhere Liga wechselt. Mit seinem neuen Verein überraschte der gebürtige Kölner hingegen: Er steht inzwischen bei Aalborg BK in der dänischen ersten Liga unter Vertrag. Ein eher ungewöhnlicher Weg, der sich auszuzahlen scheint. Beim Traditionsklub ist Müller als Nummer 1 gesetzt. Wir haben mit dem früheren FC-Talent, das auch schon in Würzburg und Eindhoven unter Vertrag stand, über seinen Dänemark-Wechsel und das Abstiegsjahr in Duisburg gesprochen.
Vincent Müller, wir haben 14 Uhr. Ist es bei Ihnen gerade schon dunkel?
Jetzt gerade noch nicht. Aber um kurz nach 15 Uhr beginnt es bereits zu dämmern - das ist schon kurios, wenn man das nicht gewohnt ist. Andersrum hatten wir im Sommer um 19 Uhr auswärts ein Abendspiel. Als ich gegen 4 Uhr morgens nachhause gekommen bin, war es immer noch hell.
Wie haben Sie sich in Dänemark eingelebt?
Mir geht es hier sehr gut. Aalborg ist eine schöne Stadt, ich wohne schön gemeinsam mit meiner Verlobten und unserem Hund und habe mich gut zurechtgefunden. Die Nordsee liegt quasi direkt vor der Tür, die Lebensqualität ist hoch. Ich verstehe mich gut mit dem Trainer und meinen Mitspielern - vor allem mit Ex-Dortmunder Bjarne Pudel, Oumar Diakhite und John Iredale, die auch schon in Deutschland gespielt haben. Mit ihnen und ihren Partnerinnen bilden wir quasi eine deutschsprachige Clique. Und dafür, dass Aalborg ziemlich weit im Norden liegt, ist das Wetter bisher auch besser als erwartet.
Sportlich scheint es ebenfalls zu laufen. Sie sind als Nummer 1 gesetzt.
Das haben die Planungen des Vereins auch von Beginn an vorgesehen. Natürlich musste ich das Potenzial, das die Verantwortlichen in mir gesehen haben, trotzdem bestätigen. Ich denke, das ist mir bisher gut gelungen. Aalborg ist ein großer Traditionsverein, der in der vergangenen Saison zum ersten Mal überhaupt abgestiegen ist. Jetzt versuchen wir, uns mit der jüngsten Truppe der Liga wieder in der Superliga (Name der dänischen Liga, Anm. d. Red.) zu etablieren. Aktuell liegen wir im Soll. Und im Dezember spielen wir auch noch das Pokal-Viertelfinale.
Wie lässt sich das Niveau der Liga einschätzen?
Die Qualität ist hoch. Topvereine wie der FC Kopenhagen oder FC Midtjylland könnten problemlos in der Bundesliga mithalten. Aber jedes Spiel ist schwierig. Auch das Niveau der Teams, die unter uns in der Tabelle stehen, geht über das in der 3. Liga hinaus.
Warum haben Sie sich überhaupt für den eher ungewöhnlichen Schritt Dänemark entschieden?
Ich hatte auch die Option in Deutschland zu bleiben, hätte innerhalb der 3. Liga oder in die 2. Bundesliga wechseln können. Bei Aalborg hat mich einfach das Gesamtpaket überzeugt. Die Verantwortlichen haben mir das Gefühl gegeben, mich unbedingt haben zu wollen. Sie kannten all meine Szenen - sogar aus Würzburger Zeiten. Und ich habe mir zuvor noch persönlichen Rat geholt.
Der Absturz hat ja schon viel früher begonnen. Die letzte Saison war dann quasi die Spitze des Eisbergs
Vincent Müller
Von wem?
Von Yann Bisseck, mit dem ich in der Jugend lange zusammen beim 1. FC Köln gespielt habe und noch heute gut befreundet bin. Er hat ein Jahr bei Aarhus GF verbracht und wurde in Dänemark von Inter Mailand entdeckt, ist dort inzwischen Stammspieler. Er hat mir den Wechsel empfohlen, da die dänische Liga ein guter Markt ist, um sich zu entwickeln. Das hat sich für mich bisher bestätigt.
Schauen wir zurück auf die vergangene Saison mit dem MSV Duisburg. Mit einigen Monaten Abstand: Wie erklären Sie sich diesen Absturz?
Der Absturz hat ja schon viel früher begonnen. Die letzte Saison war dann quasi die Spitze des Eisbergs. Es ist nicht leicht, die Gründe dafür zu finden. Wir hatten gute Jungs in der Mannschaft - Santiago Castaneda oder Caspar Jander zum Beispiel sind in der 2. Bundesliga Leistungsträger. Wenn man einmal in eine Negativspirale kommt, ist es sehr schwierig, da wieder rauszukommen. Und der Verein hat sicherlich auch nicht alles richtig gemacht.
Worauf spielen Sie an?
Als nach der Freistellung von Torsten Ziegner im Herbst Engin Vural und Branimir Bajic übernommen haben, waren wir plötzlich wieder im Aufschwung. Wir haben den ersten Saisonsieg gefeiert, sie haben es geschafft, wieder ein Feuer in der Mannschaft zu erzeugen. Wir waren wieder zuversichtlich und dachten, es geht weiter mit den Beiden. Dann wurde mit Boris Schommers plötzlich doch ein neuer Trainer geholt. Das war ein totaler Dämpfer für die Stimmung in der Mannschaft.
Wie meinen Sie das?
Das lag nicht an Boris Schommers persönlich. Aber bei seinem ersten Spiel haben wir im Pokal gegen den damaligen Oberligisten Uerdingen und in der Liga gegen Bielefeld und Essen verloren. Da war der Trainereffekt schon wieder verpufft und der Frust innerhalb der Mannschaft groß. Dazu kam, dass wir die Fans verloren hatten. Sie waren zu Recht sauer und enttäuscht. Man sieht ja aktuell, was sie für eine Wucht entfalten könnten. Diese paar Prozentpunkte, die ihre Unterstützung freisetzen kann, haben uns gefehlt.
Haben Sie den Abstieg mit ihren ehemaligen Mitspielern noch einmal thematisiert?
Wir haben uns nach dem Saisonende nicht noch einmal zusammen hingesetzt. Aber wir hatten natürlich etliche Krisensitzungen während der Saison. Als irgendwann feststand, dass wir absteigen, waren wir quasi tot. Das war wirklich schwierig zu realisieren. Teil der ersten Mannschaft zu sein, die erstmals in der Vereinsgeschichte in die Regionalliga absteigt: Man kann sich vorstellen, dass das kein schönes Gefühl war.
Aktuell erlebt der MSV wieder bessere Zeiten. Hätten Sie es für möglich gehalten, dass sich die Zebras in der Regionalliga so schnell fangen?
Ich habe schon im Sommer mit Bjarne Pudel darüber gesprochen, der die 3. Liga und die Regionalliga gut kennt. Wir waren der Meinung, dass die Duisburger sehr starke Transfers getätigt haben - auch auf der Trainerposition. Dazu ging ein Ruck durch die ganze Stadt, dem Verein ist es gelungen, Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Ich habe viele Spiele gesehen. Sie holen die Ergebnisse, auch wenn spielerisch noch nicht alles läuft, wie zuletzt in Uerdingen. Aber auch das wird immer besser. Das ist alles andere selbstverständlich, nach der Vorsaison und bei einer komplett neu zusammengestellten Mannschaft.
Vincent müller träumt von Rückkehr zum 1. FC Köln
Abschließend: Wie planen Sie Ihre eigene Zukunft? In Dänemark haben Sie bis 2028 unterschrieben.
Damit beschäftige ich mich aktuell nicht. Mir war wichtig, nach dem harten Jahr in Duisburg wieder den Spaß am Fußball zurückzugewinnen. Ich möchte zunächst mal so erfolgreich wie möglich mit Aalborg sein. Mein Traum bleibt es, eines Tages zum 1. FC Köln zurückzukehren.
Und nach Ihrem Treffer aus der eigenen Hälfte heraus im August 2022 bald ein zweites Tor zu erzielen?
(lacht) Da war die Welt in Duisburg noch in Ordnung. Das war ein verrückter Tag. Als ich nach Aalborg gewechselt bin, haben mich die Leute hier gefragt, ob ich der neue Torjäger bin. Es hatte sich tatsächlich bis hierhin rumgesprochen. Aber in erster Linie möchte ich mich aufs Tore verhindern konzentrieren.